»Wie schaffst du das eigentlich alles?«

Studium, Aktivismus, Elternsein: ein Interview mit mir selbst

Frau van Bommel (Gezeit): Hallo, Hanna! Erstmal danke, dass du dir Zeit genommen hast für dieses Interview zu so später Stunde.

Hanna: Passt schon…

FvB: Lass uns doch zuerst über Studieren mit Kind reden: Wie hast du das bis jetzt erlebt?

H: Ok – also, mein Bachelorstudium habe ich gemacht, als mein Kind ein bis drei Jahre alt war. Das ging irgendwie, aber es war natürlich schwierig. Ein Hauptproblem ist, dass ich klarerweise weniger Zeit hab als meine Mitstudis. Ich kann nur Seminare belegen, die in der Kindergartenzeit liegen – auch wenn sie nicht unbedingt meine bevorzugten sind – und ich muss gerade beim Lernen und unter Abgabestress gutes Zeitmanagement betreiben. Das heißt z.B. vormittags in der Uni sein, am frühen Nachmittag das Kind abholen, einen super Quality-Time-Nachmittag verbringen, irgendwo dazwischen die allfällige Reproduktionsarbeit unterbringen und nachdem das Kind im Bett ist, sich noch diszipliniert ein paar Stunden hinsetzen und schreiben, lernen, lesen etc.

FvB: Puh…

H: Warte mal, war ja noch nicht fertig! Wenn dein Kind krank ist, vergrößert sich dein Kontingent erlaubter Fehlstunden in Seminaren natürlich trotzdem nicht. Und wenn du mitten im Studium schwanger bist, kannst du nicht einfach wie eine angestellte Person drei Jahre in Karenz gehen. Willst du die Zulassung nicht verlieren, sind maximal zwei Urlaubssemester oder so drin. Da gibt’s dann aber weder Familien- noch Studienbeihilfe, also auch kein Semesterticket und so weiter… Oder du ziehst es halt mit Säugling durch. Wo kannst‘n in der Uni bitte stillen? Wenn du dann noch „nebenbei“ arbeiten „willst“ – oder besser gesagt: musst… Viel Spaß! Oder vielleicht hast auch noch eine Beziehung, dann kannst jeden Tag neu mit den Prioritäten jonglieren. Aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass ich hier nichts Neues erzähl‘. Ich glaube, dass es den meisten unterbewusst klar ist, was es zeit- und demnach auch schlafressourcenmäßig (hebt den Zeigefinger) bedeutet, mit Kind zu studieren. Deswegen werd‘ ich ja immer wieder gefragt, wie ich das denn alles geschafft hätte oder schaffen würde. Obwohl meistens ein „Ich würd‘ das ja nicht können!“ hinterher geschoben wird, hör ich da weniger raus, dass sich die Leute nicht vorstellen können, dass es geht. Eher, dass sie sich das schon ausmalen können, aber zumindest zum jetzigen Zeitpunkt keinen Bock drauf haben.

FvB: Hm… Wie schaut‘s mit dem Sozialleben aus? In die Disko mit Kind?

H: Haha (rollt die Augen)! Ich bin ja nicht alleinerziehend, das heißt, ich hab auch schon mal ganze Tage und auch Abende frei. Ich kann also wahrscheinlich nicht so viel ausgehen wie andere Studis, aber ab und zu schon.

FvB: Das trifft dann auch etwa auf Treffen von Politgruppen zu, oder?

H: Ja, voll. Es ist halt leider die Realität, dass die meisten Plena zu Zeiten stattfinden, wo Kinder nicht mehr institutionell betreut werden und die potentiellen Babysitter*innen hocken meist selbst bei den Treffen. Das Kind einfach mitnehmen geht auch nicht immer und unbedingt, gerade abends überschneiden sich die Plenums- mit den Bettgehzeiten. Mal davon abgesehen sind die Gruppenräume, in denen Treffen stattfinden, nicht immer die saubersten und kinderfreundlichsten Umgebungen – Stichwort Rauchen… Je nachdem, in welchem Umfeld man* sich bewegt, spielt vielleicht auch Gewalt und Militanz eine Rolle. Ich hab mein Kind schon ab und zu mal im Kinderwagen auf Ungehorsams wie Blockaden oder so mitmache, überleg ich mir dreimal mit Kind. Ist es auf der Demo mit dabei, werde ich tunlichst vermeiden, mich aufschreiben oder kesseln zu lassen. Ist es nicht dabei, bin ich vielleicht zu mehr bereit. Aber ich hab mich nicht nur einmal gefragt, was mit meinem Kind ist, wenn ich mal ins PAZ mitgenommen werden würde und am Ende vielleicht so lang sitz‘ wie Josef…

FvB: Stimmt. Erinnert mich an die zwei von Pussy Riot, die auch Mütter* sind.

H: Bin mir nicht sicher, ob man* die Umstände jetzt so vergleichen kann. Außerdem macht man* sich solche Gedanken vielleicht auch ohne Kind, nur denkt man* vielleicht an die Freund*in, andere Familienangehörige oder einfach nur das Studium, dass man* abschließen will, denk ich mir grad.

FvB: Wahrscheinlich. Gibt es denn auch inhaltliche Dinge, wo du als Mutter* mit deiner politischen Einstellung oder denen in deinem Umfeld in Konflikt gekommen bist?

H: Naja, zuerst einmal hat das Kinder-Haben in linken Umfeldern schon auch Vorteile. So komme ich vielleicht durch meinen Alltag eher drauf, auch mal die Care-Perspektive in Debatten einzubringen. Andererseits bin ich es inzwischen auch langsam leid, dass man* als Elternteil so ein bisschen den Expert*innenstatus innehat, wenn es um die Thematisierung von Kindern geht… Aber zurück zum Thema: Natürlich gibt es da viele offene Fragen, aber die meisten stelle ich mir wohl selbst. Zuerst sind Menschen mit Kindern einmal mehr mit Rollenverständnissen für sich und die Kinder konfrontiert. Schon bei der Namensgebung, um mal nur ein Beispiel zu nennen. Erfahrungsberichte über die Herausforderungen des feministischen Elternseins füllen inzwischen seitenweise Bücher und Blogs. Das lässt sich auch meistens noch zu einem gewissen Grad mit linker Politik und Subkultur in Einklang bringen. Aber ich mein… Ohne, dass mir das jeman*d mal direkt vorgeworfen hätte, aber das Kinder-Haben an sich kann ja durchaus als reaktionär betrachtet werden.

FvB: Wie jetzt?

H: Also, ich wurde zwar schon oft gefragt, ob mein Kind denn geplant war – ja klar (tippt sich an die Stirn) – aber ich hab‘ mich nie dafür rechtfertigen müssen, dass ich mich für ein Kind entschieden hab. Das wird dann zum Glück so akzeptiert. Aber ich selbst frage mich schon, wie ich diese Entscheidung mir und der so genannten Gesellschaft gegenüber rechtfertige – oder sagen wir: argumentiere. Die Gründe, die mir einfallen, die persönlich für ein Kind oder mehrere sprechen, sind eher egozentrisch oder nicht mit meiner politischen Einstellung zu vereinbaren. Also, zum Beispiel, dass man* einfach „eine Familie gründen“ oder „Mutter*/Vater* sein“ will oder schlichtweg gegen Abtreibung ist.

FvB: Hm, gibt’s da nicht noch andere?

H: Dahingegen kommt ja von kinderlosen Personen auch mal die Aussage, dass sie in diese Welt kein Kind setzen wollen. Überhaupt wird jetzt durch diese pseudofeministische Wieder-Mutter-Sein-Dürfen-Diskussion der letzten Jahre eine Gegenbewegung stark, wo kinderlose Menschen über ihre gewollte Kinderlosigkeit schreiben, was sie eben gesamtgesellschaftlich ganz gut begründen können. Das ist eine Quasi-Reaktion auf diesen ständigen Rechtfertigungszwang, dem kinderlose Menschen ab einem bestimmten Alter ausgesetzt sind. Oder eigentlich nur cis-Frauen, würd‘ ich sogar behaupten. Leider rutschen derlei Texte hin und wieder in ein Gegeneinander-Ausspielen des selbsterklärten Elternglückes – Kinderlachen und so weiter – gegen die Freiheiten und das Glück der gewollt Kinderlosen ab und bewegen sich dann eigentlich auf einer Ebene der emotionalen Standpunkte…

FvB: Du schweifst ab.

H: ‚Tschuldigung. Wo war ich? Achja… Auf die gesamtgesellschaftliche Perspektive bezogen wird’s noch schwieriger, das Kinder-Haben zu rechtfertigen. Zum Beispiel, wenn gesagt wird, dass Kinder kriegen nötig sei, um den Generationenvertrag aufrecht zu halten. Stimmt technisch gesehen vielleicht, aber da werden die entstehenden Menschen vorneweg als Arbeiter*innen und Verdiener*innen, also als Rädchen in der Funktionalität des bestehenden Systems interpretiert. Derlei pronatalistische Argumentationen bewegen sich außerdem eigentlich immer im Fahrwasser problematischer Diskurse. Man* denke da nur beispielsweise an rassistische „Überfremdungsängste“ vom rechten Rand. Wenn ich als junge*r, weiße*r, akademisch gebildete*r, christlich oder wenigstens agnostisch sozialisierte*r, able*r, deutsch sprechende*r, die heteronormative Bipolarität der Geschlechter nicht offensichtlich gefährdende*r, vielleicht sogar Steuern zahlende*r und nicht die Sozialsysteme „ausnutzende*r“-

FvB: Ich hab den Faden verloren!

H: Naja, also wenn ich als Österreicher*in – oder wie in meinem Fall noch schlimmer, als Deutsche*r! – aus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft ein Kind zur Welt bringe, dann trage ich ja aktiv zum Erhalt des „gesunden Volkskörpers“ bei und spiel‘ den Rechten direkt in die Hände! Ich als Mutter der Nation!

FvB: Wäh! Das klingt hart. Noch‘n Keks? Wie bist du jetzt mit dir selbst verblieben, was das Kinderkriegen anbelangt?

H: Hm… Das ist natürlich gar nicht so einfach und wahrscheinlich ist es moralisch auch nicht ganz einwandfrei sich postnatal darüber Gedanken zu machen, ob die Entscheidung ein Kind zu kriegen persönlich und gesamtgesellschaftlich jetzt gut oder schlecht war (lacht). Nein ernsthaft, ich war vor vier, fünf Jahren noch deutlich weniger politisiert und reflektiert. – Warte mal, das klingt jetzt so, als wäre ich jetzt superreflektiert… Aber ich meine, ich hatte wohl erstens das Gefühl, das Kind „zu wollen“ und andererseits konnte ich mir damals nicht vorstellen, abzutreiben. Ob ich mit meiner jetzigen Einstellung damals anders entschieden hätte, ist irgendwie eine Frage, die ich mir selbst nicht stellen darf. Find‘ ich. Oder? Wie gesagt, das ist moralisch paradox. Außerdem ist mein Kind super und das sag ich jetzt nicht nur so. Aber würde ich heute ungeplant schwanger werden, würde ich andere Gedankengänge haben und vielleicht anders entscheiden. Aber! (hebt den Zeigefinger)

FvB: Lass das doch mal, wir sind doch nicht in der Schule.

H: Sorry. Ich mein: Aber ich denk mir, dass man* gerade mit Kind – man* könnt fast sagen am Kind – emanzipative Gesellschaftsveränderung betreiben kann. Hands-on sozusagen.

FvB: Also post-/marxistisch, queerfeministisch, antirassistisch und so weiter erziehen?

H: Ich mag das Wort Erziehung nicht so gern, aber ja, ungefähr so. Zum Beispiel,wenn ich mit meinem Kind gendersensibel spreche, ihm* nicht-normative Beziehungsformen vorlebe oder diesen sexistischen Quatsch mit dem geschlechtlich markiertem Spielzeug und rosa-blau-dichotomer Kleidung nicht mitmache. Die Möglichkeiten sind quasi unerschöpflich, was wohl daran liegt, dass in so vielen gesellschaftlichen Bereichen noch so viel besch-… Darf ich hier fluchen?

FvB: Weiß nicht.

H: Naja, jedenfalls, dass immer noch so Vieles falsch läuft… Das könnte man* doch als aktives Formen einer – ok, ich sag‘s jetzt einfach – besseren Gesellschaft bezeichnen, oder? Langwierig, aber nachhaltig. Und das gilt eigentlich auch nicht nur für den Umgang mit den so genannten eigenen Nachkommen.

FvB: So wird’s ja immer gepredigt: Man* muss früh anfangen, schon bei den Kindern!

H: Genau. Wobei, das ist natürlich nicht so einfach. Die bewegen sich ja nicht im luftleeren Raum und kriegen natürlich im Kindergarten, bei Nachbarn oder wo sie halt so sind, das ein oder andere Vorurteil mit. Aber immerhin.

FvB: It‘s something.

H: Indeed.

FvB: One step at a time.

H: Das klingt jetzt mehr nach Reform als Revolution…

FvB: Hä?

H: Hm…

FvB: Na gut, um jetzt zum Abschluss noch den Zusammenhang zum Heft-Thema Macht-Körper-Sex zu schließen: Warum würdest du sagen, passt „Kinder-Haben“ da rein?

H: Puh, die Zusammenhänge zwischen Kinder kriegen, Kinder haben und dem Umgang mit Kindern mit der Trias Macht-Körper-Sex sind so vielfältig, dass ich wahrscheinlich bis morgen drüber quatschen könnt und selbst dann noch die Hälfte vergessen hätte… Aber um mal ein paar andere Themen anzureißen, die da reinpassen und die ich jetzt noch nicht angesprochen habe: Machtverhältnisse und Machtausübung sind wahrscheinlich grundlegender Bestandteil des Konzeptes „Erziehung“. Man* könnte sich auch überlegen, inwiefern quasi-erzieherische Verhältnisse von Schüler*in-Lehrer*in bzw. Prof-Studi einen ähnlichen Charakter haben. Der Zusammenhang mit Sex ist recht offensichtlich, wenn man* jetzt an Kinder als Produkt des körperlichen-materiellen Reproduktionsaktesdenkt. Aber auch da kann man* viel tiefer graben: Wer kann, soll, darf sich sexuell reproduzieren, Kinder und Sexualität, äh…. Und Körper… Das fängt bei der Schwangerschaft an, wo der Körper zum öffentlichen Objekt und gesellschaftlichen Kampfgebiet wird: nicht rauchen, nicht trinken, anfassen lassen, belehren lassen, nicht schwer tragen und so weiter. Bis auf die Augenringe – die man* ja auch aus anderen Gründen haben kann – sieht man* dann nach der Schwangerschaft einem Körper dann wiederum nicht mehr unbedingt und sofort an, dass die Person darin Kinder hat. Die Vergeschlechtlichung der entstehenden Menschen im Uterus durch „Was wird es denn?“… Ich denk mir auch manchmal, dass wir in unseren postmarxistischen Kreisen immer wieder beschwören, wie wichtig doch der Einbezug von Reproduktion in die gesellschaftliche Analyse ist, aber die tatsächlichen Erfahrung in der Reproduktion in Bezug auf Kinder eher wenig präsent sind. Oder-

FvB: Ok ok, das reicht dann auch. Eine letzte Frage noch: Warum sagt du eigentlich immer „das Kind“? Das klingt so neutral und unpersönlich.

H: Weißt eh… Wenn ich „mein Sohn“ oder „meine Tochter“ sagen würde, hätte ich‘s schon vergeschlechtlicht. Aber es soll selbst entscheiden, wer und was es ist.

FvB: Eh klar. Und wie heißt „es“?

H: Äh… Kann ich nicht sagen, Datenschutz.

FvB: Na dann danke für das Gespräch!

H: Jaja, schon gut.

Hanna van Bommel

gezeit